2025 jährt sich die deutsche Wiedervereinigung zum 35. Mal. Ein zentrales Kapitel dieser Geschichte ist die Arbeit der Treuhandanstalt, die Anfang der 1990er-Jahre entschied, welche DDR-Betriebe privatisiert und welche geschlossen werden sollten. Diese Entscheidungen hatten direkte Folgen für Millionen Beschäftigte und prägen die Wirtschaftsstruktur Ostdeutschlands bis heute.
Eine aktuelle Studie von Forschern der ROCKWOOL Foundation Berlin (erschienen im Journal of Public Economics) untersucht, wie erfolgreich die Treuhand in dieser Rolle war. Konkret geht es um die Frage: Hat die Treuhand die „richtigen“ Betriebe privatisiert
Die Methode
Um diese Frage zu beantworten, vergleichen die Forscher die tatsächlichen Entscheidungen der Treuhand mit hypothetischen Alternativen. Dafür nutzen sie Verfahren des maschinellen Lernens: Auf Basis von Daten zu Größe, Produktivität, Organisation und Branche der Betriebe aus der Zeit vor der Privatisierung berechnen sie, wie hoch die Überlebenschancen jedes Betriebs für die ersten zehn Jahre nach der Privatisierung auf dem Markt gewesen wären, wenn er privatisiert worden wäre.
Wichtig ist dabei: Solche Simulationen sind nur im Nachhinein möglich. Heute lässt sich prüfen, welche Betriebe tatsächlich überlebt haben und welche Merkmale dabei eine Rolle spielten. Diese Informationen standen der Treuhand Anfang der 1990er-Jahre nicht zur Verfügung. Die Studie zeigt also nicht, was die Behörde damals hätte wissen können, sondern wie ihre Entscheidungen im Vergleich zu möglichen Alternativen im Nachhinein aussehen.
Die Ergebnisse
Die Bilanz fällt gemischt aus. Die Treuhand vermied das schlechteste Szenario: Hätte sie die Betriebe mit den geringsten Überlebenschancen ausgewählt, wären nach zehn Jahren nur gut 55 Prozent am Markt geblieben. Tatsächlich lag die Überlebensquote bei den privatisierten Betrieben bei knapp 67 Prozent.
Gleichzeitig blieb die Treuhand aber weit hinter dem besten Szenario zurück. Hätte sie gezielt die Unternehmen mit den höchsten Überlebenschancen ausgewählt, wären fast 97 Prozent der Betriebe nach zehn Jahren noch am Markt gewesen. Besonders deutlich wird der Unterschied bei den Arbeitsplätzen: In der Realität hatten die überlebenden Firmen zu Beginn rund eine Million Stellen. Im Best-Case-Szenario wären es nach der Simulation etwa ein Drittel mehr gewesen – also fast Dreihunderttausend zusätzliche Jobs. Allerdings bleibt offen, ob diese Arbeitsplätze langfristig tatsächlich erhalten geblieben wären, da auch bei den „besten“ Betrieben spätere Entwicklungen unvorhersehbar sind.
Produktivität als Leitlinie
Auffällig ist, dass die Treuhand ihre Entscheidungen häufig nach der Produktivität der Betriebe traf: Firmen mit höherer Produktivität wurden eher privatisiert. Das entsprach nicht nur einer pragmatischen Faustregel, sondern spiegelte auch das rechtliche Mandat der Treuhand wider, das die Orientierung an der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe vorgab.
Zentrale besser als die Regionen
Die Studie zeigt außerdem deutliche Unterschiede innerhalb der Treuhand. Die Zentrale in Berlin schnitt bei der Auswahl erfolgreicher ab als die regionalen Niederlassungen: Dort überlebten privatisierte Betriebe häufiger und sicherten mehr Arbeitsplätze. Wahrscheinlich hatte die Zentrale bessere Ressourcen, mehr Fachwissen und engere Kontakte als die Regionalstellen, die stärker unter Zeit- und Personalmangel litten.
Das Fazit – eine Schulnote für die Treuhand
35 Jahre nach der Wiedervereinigung ergibt sich ein gemischtes Bild: Die Treuhand verhinderte die großen Fehlentscheidungen, blieb aber auch weit hinter den besten erreichbaren Ergebnissen zurück. Gäbe man der Treuhand eine Schulnote, so läge diese laut den Autoren im Vergleich von „ungenügend“ bis „sehr gut“ wohl am ehesten bei einer 3 – befriedigend.