Luftverschmutzung kann dauerhafte Schäden für Gesundheit und Arbeit verursachen
Diese Studie dokumentiert, wie eine Phase intensiver Luftverschmutzung in den 1980er Jahren zu dauerhaften gesundheitlichen und wirtschaftlichen Kosten führte. Als Ostdeutschland den Einsatz von Braunkohle stark erhöhte, stieg die Luftverschmutzung in der Nähe der Tagebauregionen fast ein Jahrzehnt lang an. Da die Mobilität staatlich eingeschränkt war, konnten die betroffenen Bevölkerungsgruppen nicht umziehen, sodass die Forscher die langfristigen Auswirkungen der Verschmutzung isoliert untersuchen konnten. Die Ergebnisse zeigen, dass die Belastungen in der frühen Kindheit und im Erwachsenenalter Jahrzehnte später noch zu einem schlechteren Gesundheitszustand, kürzerem Erwerbsleben und geringerem Einkommen führte.
Wichtigste Ergebnisse
- Die Luftverschmutzung stieg in den betroffenen Gebieten nach 1982 um 19 Prozent.
- Die Säuglingssterblichkeit dort stieg um 9 Prozent, was einem zusätzlichen Todesfall pro 1.000 Geburten pro Jahr entspricht.
- Säuglinge in der Nähe von Bergwerken hatten eine um 2,7 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, ein niedriges Geburtsgewicht zu haben.
- Die Erwerbstätigen aus der Nähe verdienten im Durchschnitt 3 Prozent weniger und gingen zwei Monate früher in Rente.
- Sie verbrachten im Laufe ihres Arbeitslebens 4½ Monate weniger in Beschäftigung.
- Langfristige Gesundheitsdaten zeigten Jahrzehnte später bei ihnen mehr Asthma (+229 Prozent) und Herzerkrankungen (+83 Prozent)
Aktuelle Relevanz
Die Ergebnisse zeigen, dass Umweltverschmutzung tiefgreifende und dauerhafte Spuren in der Gesundheit der Bevölkerung hinterlassen kann. Krankheiten, die mit der Luftqualität in Zusammenhang stehen, bestehen über den gesamten Lebenszyklus hinweg und verringern das Arbeitskräfteangebot, die Produktivität und das Einkommen. Diese Ergebnisse unterstreichen die hohen und anhaltenden sozialen Kosten der Luftverschmutzung und sprechen für Maßnahmen, die auf eine frühzeitige Verringerung abzielen.
Referenz
Basierend auf dem RFBerlin Discussion Paper Nr. 85/25, „The Long-Term Effects of Air Pollution on Health and Labor Market Outcomes: Evidence from Socialist East Germany” von Moritz Lubczyk und Maria Waldinger (Oktober 2025).
Zusammenfassung der Forschungsergebnisse
Welche Auswirkungen hat eine anhaltende Belastung durch Luftverschmutzung? Diese Studie zeigt, dass verschmutzte Luft die Gesundheit und die wirtschaftlichen Aussichten der Menschen über Jahrzehnte hinweg beeinflussen kann. Anhand von Daten aus Ostdeutschland, wo ein plötzlicher Handelsschock im Jahr 1982 zu einem starken und anhaltenden Anstieg der Luftverschmutzung führte, verfolgen die Autoren, wie sich die frühe Exposition bis zu vierzig Jahre später auf die Gesundheit und die Arbeitsmarktergebnisse auswirkte. Die Ergebnisse zeigen, dass die Schäden weit über unmittelbare Atemwegsprobleme hinausgehen – sie beeinträchtigen das langfristige körperliche und wirtschaftliche Wohlergehen.
Langfristige Auswirkungen der Luftverschmutzung auf Gesundheit und Produktivität
Luftverschmutzung ist eine der größten globalen Gesundheitsgefahren und steht in Zusammenhang mit Millionen vorzeitiger Todesfälle jedes Jahr (WHO 2024). Während ihre kurzfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit gut bekannt sind*, ist weit weniger darüber bekannt, wie sich eine anhaltende Belastung auf die Gesundheit und Produktivität der Menschen im späteren Leben auswirkt. Die Untersuchung dieser langfristigen Auswirkungen ist schwierig, da Menschen oft umziehen oder sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen (Deryugina und Reif 2023).
Die historischen Erfahrungen Ostdeutschlands bieten eine Möglichkeit, dieses Problem zu überwinden. Als die Sowjetunion 1982 plötzlich ihre Öllieferungen reduzierte, ersetzte die DDR-Regierung diese durch die örtliche geförderte Braunkohle – einem stark umweltbelastenden Energieträger. Diese Umstellung führte zu einem plötzlichen und dauerhaften Anstieg der Luftverschmutzung in der Nähe von Braunkohle-Tagebauen und Kraftwerken. Da die Menschen nicht ohne Weiteres umziehen konnten, lassen sich die langfristigen Auswirkungen in diesem Umfeld eindeutig identifizieren.
Wichtigste Ergebnisse
Kurzfristige Auswirkungen auf die Gesundheit
Anhand neu digitalisierter Daten zu Schwefeldioxid-Konzentrationen sowie historischer Geburts- und Sterbeurkunden dokumentiert die Studie zunächst die unmittelbaren gesundheitlichen Auswirkungen einer höheren Umweltverschmutzung:
- Die Schwefeldioxidwerte stiegen nach 1982 in der Nähe von Braunkohletagebauen um etwa 19 Prozent.
- Die Säuglingssterblichkeit stieg um 9 Prozent, was einem zusätzlichen Todesfall pro 1.000 Lebendgeburten pro Jahr entspricht.
- Die Wahrscheinlichkeit für ein niedrigeres Geburtsgewicht stieg um 2,7 Prozent, wobei die Rückgänge im unteren Bereich der Verteilung am ausgeprägtesten waren.
Die Elastizität der Säuglingssterblichkeit gegenüber Luftverschmutzung ist höher als in vergleichbaren Umgebungen, in denen Familien umziehen könnten (Currie, Neidell und Schmieder 2009, Luechinger 2014, Knittel et al. 2016), was darauf hindeutet, dass typische Schätzungen die tatsächlichen Gesundheitskosten der Verschmutzung möglicherweise unterschätzen.
Figure 1. Schwefeldioxidkonzentration in Landkreisen in der Nähe von Bergwerken (Behandlung) und anderen Landkreisen (Kontrolle), geglättete und zentrierte Mittelwerte
Figure 2. Durchschnittliche Säuglingssterblichkeit in Landkreisen in der Nähe von Bergwerken (Behandlung) und anderen Landkreisen (Kontrolle), geglättete und zentrierte Mittelwerte
Langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit
Die auffälligsten Belege betreffen die Gesundheit viele Jahre später. Anhand von Daten aus dem Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) zeigt die Studie, dass Menschen, die in den 1980er Jahren in den verschmutzten Gebieten lebten, auch drei Jahrzehnte später über schlechtere Gesundheitsergebnisse berichten:
- Sie leiden mehr als doppelt so häufig an Asthma.
- Sie weisen eine 83 Prozent mehr Herzerkrankungen auf, beides schwere umweltbedingte Erkrankungen.
- Bei nicht mit Luftverschmutzung zusammenhängenden Erkrankungen wie Diabetes oder Rückenschmerzen gibt es keinen Unterschied.
- Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Luftverschmutzung zu dauerhaften Schäden an den Atemwegen und dem Herz-Kreislauf-System führt, was sich auf die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen und die allgemeine Lebenserwartung auswirkt.
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
Eine Verschlechterung der Gesundheit hat langfristige wirtschaftliche Auswirkungen. Verwaltungsdaten zu mehr als sechs Millionen ostdeutschen Arbeitnehmern zeigen, dass Personen, die vor der Wiedervereinigung einer höheren Umweltverschmutzung ausgesetzt waren, im Laufe ihres Lebens schlechtere Ergebnisse auf dem Arbeitsmarkt erzielen:
- Sie sind 0,37 Jahre weniger erwerbstätig und gehen fast zwei Monate früher in Rente.
- Der durchschnittliche Lohn ist etwa 3 Prozent niedriger, selbst nach Berücksichtigung von Bildung, Beruf und Branche.
- Eine Analyse, bei der Menschen aus verschmutzten und nicht verschmutzten Gebieten, die später an denselben Ort gezogen sind, verglichen wurden, bestätigt diese Ergebnisse und schließt lokale Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt als Störfaktor aus.
Die Autoren schätzen, dass allein die verlorene Arbeitskraft nach der Wiedervereinigung soziale Kosten in Höhe von etwa 1 Prozent des deutschen BIP von 1989 verursachten, was 10,98 Milliarden Euro zu Preisen von 2015 entspricht.
Lehren für die Politik
Die Ergebnisse zeigen, dass sich die vollen Kosten der Luftverschmutzung über Jahrzehnte hinweg entfalten. Über die unmittelbaren medizinischen Belastungen hinaus schwächt die Verschmutzung die Erwerbsbevölkerung, verringert die Produktivität und erhöht die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Verbesserung der Luftqualität weitreichende Vorteile für die Zukunft mit sich bringt, die weit über die Vermeidung von Todesfällen hinausgehen – darunter gehören mehr Gesundheit und wirtschaftliche Produktivität.
Für politische Entscheidungsträger gibt die Studie drei wichtige Erkenntnisse:
- Langfristiges Gesundheitsmonitoring ist unerlässlich, um die tatsächlichen Auswirkungen der Schadstoffbelastung zu verstehen.
- Vorausschauende Umweltpolitik, wie strengere Grenzwerte und Investitionen in sauberere Energien, schafft dauerhafte Vorteile, die sich über Generationen hinweg summieren.
- Umweltungleichheit spielt eine Rolle: Wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen in verschmutzten Regionen leben, sind die generationenübergreifenden Kosten der Schadstoffbelastung besonders hoch.
Schlussfolgerung
Diese Studie zeigt, dass Luftverschmutzung langfristige Auswirkungen sowohl auf die Gesundheit als auch auf die Wirtschaft haben kann. Die Belastung durch hohe Schadstoffkonzentrationen in den 1980er Jahren führte auch mehr als dreißig Jahre später noch zu einer Verschlechterung der Gesundheit und einer geringeren Erwerbsbeteiligung. Die Ergebnisse unterstreichen, dass eine bessere Luft nicht nur eine Frage des Umweltschutzes ist, sondern auch des langfristigen wirtschaftlichen Wohlergehens und der öffentlichen Gesundheit.
Referenzen
Alexander, Diane and Hannes Schwandt (2022): “The impact of car pollution on infant and child health: Evidence from emissions cheating,” The Review of Economic Studies, 89 (6), 2872–2910.
Chay, Kenneth Y and Michael Greenstone (2003): “The impact of air pollution on infant mortality: evidence from geographic variation in pollution shocks induced by a recession,” The Quarterly Journal of Economics, 118 (3), 1121–1167.
Currie, Janet and Matthew Neidell (2005): “Air pollution and infant health: what can we learn from California’s recent experience?” The Quarterly Journal of Economics, 120 (3), 1003–1030.
Currie, Janet, Matthew Neidell, and Johannes F Schmieder (2009): “Air pollution and infant health: Lessons from New Jersey,” Journal of Health Economics, 28 (3), 688–703.
Currie, Janet and Reed Walker (2011): “Traffic congestion and infant health: Evidence from E-ZPass,” American Economic Journal: Applied Economics, 3 (1), 65–90.
Deryugina, Tatyana, Garth Heutel, Nolan H Miller, David Molitor, and Julian Reif (2019): “The mortality and medical costs of air pollution: Evidence from changes in wind direction,” American Economic Review, 109 (12), 4178–4219.
Deryugina, Tatyana and Julian Reif (2023): “The long-run effect of air pollution on survival,” NBER WP, National Bureau of Economic Research.
Hanlon, W Walker (2020): “Coal smoke, city growth, and the costs of the industrial revolution,” The Economic Journal, 130 (626), 462–488.
Knittel, Christopher R, Douglas L Miller, and Nicholas J Sanders (2016): “Caution, drivers! Children present: Traffic, pollution, and infant health,” Review of Economics and Statistics, 98 (2), 350–366.
Luechinger, Simon (2014): “Air pollution and infant mortality: a natural experiment from power plant desulfurization,” Journal of Health Economics, 37, 219–231.
World Health Organization (2024): “Ambient (outdoor) air quality and health: Fact sheet,” WHO Fact Sheet, “The combined effects of ambient and household air pollution are associated with 6.7 million premature deaths annually.”
* Siehe beispielsweise die Studien von Chay und Greenstone 2003; Currie und Neidell 2005; Currie und Walker 2011; Luechinger 2014; Knittel et al. 2016; Deryugina et al. 2019; Hanlon 2020; Alexander und Schwandt 2022.
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