Kurzzusammenfassung
Migration beeinflusst Regionen stärker als einzelne Arbeitnehmer
Wie wirkt sich Migration auf Arbeitsplätze und Löhne aus? In öffentlichen Debatten werden Effekte auf regionale Arbeitsmärkte häufig mit den individuellen Erfahrungen von Arbeitnehmern vermischt. Diese Studie nutzt eine Regelung, als nach dem Fall der Berliner Mauer Tschechen zum Arbeiten nach Bayern pendeln, dort aber nicht wohnen durften. Wir zeigen, dass Zuwanderung das Beschäftigungsniveau von Einheimischen in betroffenen Regionen zwar deutlich verringert, aber das Risiko eines Arbeitsplatzverlusts für beschäftigte Einheimische ist gering. Weiterhin gibt es zwar geringe Lohneinbußen für beschäftigte Arbeitnehmer, aber die durchschnittlichen Löhne in den betroffenen Regionen bleiben nahezu unverändert. Die Studie macht deutlich, dass die Effekte der Immigration auf Regionen und auf beschäftigte Arbeitnehmer sehr unterschiedlich sein können.
Zentrale Ergebnisse
- Ein Anstieg des Anteils von Zuwanderern an der Beschäftigung um einen Prozentpunkt verringert das Beschäftigungsniveau von Einheimischen in betroffenen Regionen nach drei Jahren um 0,87%.
- Die Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsplatzverlusts steigt für beschäftigte Arbeitnehmer jedoch lediglich um 0,14 Prozentpunkte, und dieser Effekt verschwindet nach fünf Jahren.
- Die durchschnittlichen Löhne in den betroffenen Regionen bleiben unverändert, jedoch verzeichnen beschäftigte Einheimische einen leichten Lohnrückgang von etwa 0,19%.
- Die negativen Effekte treffen überproportional ältere Arbeitnehmer sowie Personen, die zum Zeitpunkt der Zuwanderung nicht beschäftigt waren.
- Anders als in früheren Studien gibt es keine Hinweise darauf, dass einheimische Arbeitnehmer von einfachen Tätigkeiten in höherqualifizierte, komplexere Aufgaben wechseln. Vielmehr hält Zuwanderung Arbeitnehmer, die solche einfachen Berufe übernommen hätten, davon ab, in die betroffenen Arbeitsmärkte einzutreten.
- Zuwanderung führt jedoch dazu, dass junge Arbeitsmarkteinsteiger eher eine Berufsausbildung beginnen, anstatt direkt in den Arbeitsmarkt einzutreten.
Relevanz
Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Auswirkungen von Zuwanderung auf lokale Arbeitsmärkte und auf einzelne Arbeitnehmer deutlich unterscheiden können. Politische Entscheidungsträger, die sich ausschließlich an den Effekten der Immigration auf regionale Arbeitsmärkte orientieren (welche von der Mehrzahl der existierenden Studien untersucht werden), erhalten daher ein verzerrtes Bild davon, wie sich Zuwanderung auf Arbeitnehmer auswirkt und welche Gruppen die Kosten der Zuwanderung tragen.
Literaturangabe der Studie
Basierend auf “The Effects of Immigration on Places and People – Identification and Interpretation”, RFBerlin Discussion Paper Nr. 86/25 (2025); erscheint demnächst im Journal of Labor Economics.
Part 2: Zusammenfassung der Studie
Die Auswirkungen von Zuwanderung auf Arbeitsplätze und Löhne einheimischer Arbeitnehmer sind ein zentrales Thema in öffentlichen und politischen Debatten weltweit. Dennoch liefert die ökonomische Literatur eine große Bandbreite an Ergebnissen, die häufig eher Kontroversen auslösen als zur Klärung dieser beizutragen (Dustmann et al. 2016, National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine 2017, Nedoncelle et al. 2025). In unserer aktuellen Studie argumentieren wir, dass ein Teil dieser Unterschiede auf ein grundlegendes Messproblem zurückzuführen ist: Standardansätze vermischen häufig die Auswirkungen auf lokale Arbeitsmärkte mit den Effekten auf individuelle Arbeitnehmer. Mithilfe von Längsschnittdaten, die die gesamten Erwerbsverläufe einzelner Arbeitnehmer in Deutschland erfassen, zeigen wir, dass die Auswirkungen auf beschäftigte Arbeitnehmer häufig von den Effekten abweichen, die durch regionale Durchschnittswerte erfasst werden.
Das Problem beim Vergleich von unterschiedlichen Regionen
Die meisten Studien verwenden wiederholte Querschnittsdaten und vergleichen Regionen mit unterschiedlichem Ausmaß an Zuwanderung, um die Auswirkungen von Migration auf den Arbeitsmarkt zu untersuchen. Dieser Ansatz erscheint zwar intuitiv, erfasst jedoch einen zusammengesetzten Effekt, der mehrere unterschiedliche und oft gegenläufige Mechanismen miteinander vermischt. Betrachten wir das Beispiel Beschäftigung: Ein Rückgang der Beschäftigung von Einheimischen in einer Region nach einem Zuwanderungszufluss kann zwei sehr unterschiedliche Ursachen haben. Erstens könnte es bedeuten, dass beschäftigte einheimische Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren – ein Effekt, den wir als „Verdrängungseffekt“ bezeichnen. Zweitens könnte es bedeuten, dass die Beschäftigten weitgehend unbeeinflusst bleiben, jedoch weniger Arbeitskräfte aus anderen Regionen in den lokalen Arbeitsmarkt eintreten oder sich Arbeitsmarkteinsteiger gegen eine Beschäftigung in der Region entscheiden. Diesen Effekt bezeichnen wir als „Crowding-out“. Die beiden Szenarien können mit ausschließlich regionalen Daten nicht voneinander unterschieden werden. Ihre wirtschaftspolitischen Implikationen sind jedoch sehr unterschiedlich. Bei der Analyse der Lohneffekte besteht eine ähnliche Problematik. Zuwanderung kann Löhne durch ein erhöhtes Arbeitsangebot senken – ein Effekt, den wir als „reinen Lohneffekt“ bezeichnen. abweichen. Gemessen an dem Lohnwachstum durchgehend beschäftigter Einheimischer von etwa 19 Prozent (26 Prozent) zwischen 1990 und 1993 (1990 und 1995) fällt dieser Effekt dennoch gering aus. Die durchschnittlichen Löhne in einer Region hängen jedoch auch von der Zusammensetzung der jeweiligen Erwerbsbevölkerung ab (Card 2001, Bratsberg und Raaum 2012, Borjas und Edo 2025). Wenn niedrig entlohnte Einheimische ihre Beschäftigung aufgeben oder wegziehen, kann der Durchschnittslohn der verbleibenden, produktiveren Arbeitnehmer in der Region steigen und so den beobachteten Lohneffekt verzerren.
Ein natürliches Experiment an der deutschen Grenze
Um diese Effekte voneinander zu trennen, untersuchen wir ein einzigartiges natürliches Experiment, das sich nach dem Fall der Berliner Mauer ergeben hat. Tschechischen Arbeitnehmern wurde erlaubt, in deutschen Grenzregionen zu arbeiten und zu diesem Zweck dorthin zu pendeln, ohne jedoch dort wohnen zu dürfen. Dies führte zu einem reinen Arbeitsangebotsschock, da die Pendler ihre Löhne in Deutschland verdienten, den Großteil ihres Einkommens jedoch im Heimatland ausgaben (siehe Dustmann et al., 2017). Mithilfe von Längsschnittdaten aus der Sozialversicherung, die die gesamte Erwerbsbevölkerung abdecken, untersuchen wir die Erwerbsbiografien der Arbeitnehmer vor und nach der Zuwanderung. Dadurch können wir die Auswirkungen auf beschäftigte Arbeitnehmer von den Gesamt-Effekten auf den lokalen Arbeitsmarkt unterscheiden. Um mögliche Verzerrungen durch eine selektive Auswahl der Arbeitsregionen zu vermeiden (d.h. wirtschaftlich stärkere Regionen erfahren häufig eine höhere Zuwanderung), nutzen wir einen Instrumentalvariablenansatz, bei dem die Entfernung zur Grenze als Instrument dient.
Beschäftigung: Crowding-out statt Arbeitsplatzverluste
Abbildung 1 zeigt den deutlichen Unterschied zwischen regionalen und individuellen Effekten. Die schwarze Linie spiegelt die Ergebnisse des regionalen Ansatzes wider: Ein Anstieg des Anteils von Zuwanderern an der Beschäftigung um einen Prozentpunkt führt nach drei Jahren zu einem Rückgang der Gesamtbeschäftigung von Einheimischen in der Region um 0,87%. Die blaue Linie hingegen zeigt eine andere Entwicklung für beschäftigte Arbeitnehmer. Sie zeigt die Veränderung der Wahrscheinlichkeit, dass diese weiterhin beschäftigt bleiben (also den negativen Wert des Verdrängungseffekts). Diese Wahrscheinlichkeit sinkt lediglich um 0,14 Prozentpunkte, und der Effekt verschwindet nach fünf Jahren vollständig.
Abbildung 1: Die Auswirkungen von Zuwanderung auf die Beschäftigung Einheimischer
Anmerkung: Die Abbildung zeigt die geschätzten Koeffizienten des Zuwanderungsschocks aus jahresspezifischen Regressionen. Der Zuwanderungsschock ist definiert als der Zufluss tschechischer Arbeitnehmer zwischen 1990 und 1992 in Relation zur Gesamtbeschäftigung im Jahr 1990. Die vertikale gestrichelte Linie markiert den Zeitpunkt des Schocks. Quelle: Eigene Berechnungen der Autoren basierend auf Dustmann et al. (2025).
Die große Differenz zwischen dem regionalen Effekt (–0,87%) und dem individuellen Effekt (–0,14 %-Punkten) lässt sich beinah vollständig durch „Crowding-out“ erklären. Das bedeutet, dass Zuwanderung die Wahrscheinlichkeit verringert, dass einheimische Arbeitskräfte aus anderen Regionen in den betroffenen Arbeitsmärkten eine Beschäftigung aufnehmen. Dieser Effekt erklärt ungefähr 88% des gesamten Rückgangs der regionalen Beschäftigung. Der Beschäftigungsrückgang erfolgt also nicht durch Arbeitsplatzverluste unter Beschäftigten, sondern durch einen Rückgang des Zuzugs von Arbeitskräften aus anderen Regionen.
Löhne: Kompositionseffekte verzerren den wirklichen Lohneffekt
In Abbildung 2 ist eine ähnliche Divergenz bei den Löhnen zu erkennen. Der regionale Lohneffekt (schwarze Linie) liegt nahe Null und ist statistisch nicht signifikant. Werden jedoch dieselben Arbeitnehmer über die Zeit hinweg verfolgt, kann der „reine“ Lohneffekt (blaue Linie) identifiziert werden. Für Einheimische, die in derselben Region beschäftigt bleiben, führt ein Anstieg des Anteils von Zuwanderern um einen Prozentpunkt nach drei Jahren zu einem Lohnrückgang von 0,19%. Dieser reine Lohneffekt wird auf regionaler Ebene verdeckt, da der Zuwanderungsschock auch die Zusammensetzung der einheimischen Erwerbsbevölkerung verändert. Die Beschäftigung von niedrig entlohnten Einheimischen geht in der Region zurück, wodurch sich die durchschnittliche Produktivität und damit der durchschnittliche Lohn der verbleibenden einheimischen Arbeitskräfte erhöht. In unserem Fall gleicht dieser Kompositionseffekt den negativen reinen Lohneffekt nahezu aus, sodass der regionale Durchschnittslohn insgesamt unverändert bleibt.
Wer ist am stärksten betroffen?
Unsere Analyse zeigt, dass sich die negativen Effekte des Zuwanderungsschocks auf bestimmte Gruppen konzentrieren, häufig besonders gefährdete. Ältere Arbeitnehmer (50 Jahre und älter) haben ein höheres Risiko, ihren Arbeitsplatz zu verlieren als jüngere. Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt des Schocks ohne Beschäftigung waren, haben größere Schwierigkeiten, wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Sie erleiden nach ihrem Einstieg stärkere Lohneinbußen als durchgehend Beschäftigte. Die Erkenntnis, dass Arbeitslose stärker betroffen sind, ist von besonderer arbeitsmarktpolitischer Bedeutung. In unserem Fall scheinen Beschäftigte hingegen weitgehend vor den negativen Auswirkungen der Zuwanderung geschützt zu sein. Sie verzeichnen nur geringe Lohneinbußen und ihr Risiko, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, ist kaum erhöht (siehe Abbildungen 1 und 2).
Abbildung 2: Die Auswirkungen von Zuwanderung auf die Löhne Einheimischer
Anmerkung: Siehe Abbildung 1.
Neue Erkenntnisse zum Aufstieg in höherqualifizierte Tätigkeiten
Da tschechische Pendler überwiegend Tätigkeiten mit sich wiederholenden, regelbasierten Aufgaben übernehmen, geht die Beschäftigung der Einheimischen in diesen Berufen zurück. Die Beschäftigung in Tätigkeiten, die Problemlösung und Entscheidungsfindung erfordern, bleibt hingegen stabil. Dadurch steigt der Anteil der Einheimischen, die komplexere Tätigkeiten ausführen. In früheren Studien wurde eine solche Verschiebung als „Aufstieg in höherqualifizierte Tätigkeiten“ der Arbeitskräfte aufgrund des durch Zuwanderung gestiegenen Wettbewerbs in einfachen Berufen interpretiert (vgl. Peri und Sparber 2009). Unsere Längsschnittdaten ermöglichen es, detailliert zu untersuchen, ob Beschäftigte wirklich komplexere Aufgaben und Berufe übernehmen. Unsere Ergebnisse liefern jedoch keine Hinweise darauf, dass einheimische Arbeitnehmer in höherqualifizierte Tätigkeiten wechseln. Die Veränderung der Tätigkeitsstruktur, die in den regionalen Ergebnissen zu beobachten ist, wird stattdessen durch den „Crowding-out“-Effekt verursacht. Da dieser besonders stark bei Arbeitskräften ausgeprägt ist, die eher einfache Tätigkeiten ausführen, erhöht sich der relative Anteil von einheimischen Arbeitnehmern in höherqualifizierten Tätigkeiten. Wir finden jedoch Hinweise darauf, dass Arbeitsmarkteinsteiger, die ansonsten einfache Berufe angenommen hätten, entscheiden sich häufiger für eine Berufsausbildung. Dies stützt die These, dass Zuwanderung von Geringqualifizierten die Bildungsinvestitionen von Einheimischen erhöht (vgl. Hunt 2017, Llull 2018).
Fazit
Die Auswirkungen von Zuwanderung auf das Beschäftigungsniveau und die durchschnittlichen Löhne in einer Region unterscheiden sich von den direkten Auswirkungen auf die dort beschäftigten Arbeitnehmer. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Beschäftigte überraschend widerstandsfähig gegenüber Arbeitsangebotsschocks sind. Die Anpassungskosten treffen jedoch andere Gruppen, insbesondere Ältere, Arbeitslose und Arbeitsmarkteinsteiger, die in vielen Untersuchungen nicht berücksichtigt werden. Unsere Studienergebnisse sind nicht nur für die Untersuchung der Auswirkungen von Zuwanderung bedeutsam, sondern auch für Arbeitsangebotsschocks, die auf anderen Ursachen beruhen, wie Automatisierung und Globalisierung. Eine genaue Unterscheidung zwischen den Auswirkungen auf Regionen und auf Personen – ob beschäftigt oder arbeitslos – ist entscheidend für eine zielführende Arbeitsmarktpolitik.
References
Borjas, George J. und Anthony Edo (2025), “Gender, Selection into Employment and the Wage Impact of Immigration”, Journal of Labor Economics, im Erscheinen begriffen.
Bratsberg, Bernt und Oddbjørn Raaum (2012), “Immigration and Wages: Evidence from Construction”, Economic Journal, 122(565): 1177–1205.
Card, David (2001), “Immigrant Inflows, Native Outflows, and the Local Labor Market Impacts of Higher Immigration”, Journal of Labor Economics, 19(1): 22–64.
Dustmann, Christian, Uta Schönberg, und Jan Stuhler (2016), “The Impact of Immigration: Why Do Studies Reach Such Different Results?”, Journal of Economic Perspectives, 30(4): 31–56.
Dustmann, Christian, Uta Schönberg, und Jan Stuhler (2017), “Labor Supply Shocks, Native
Wages, and the Adjustment of Local Employment”, Quarterly Journal of Economics, 132(1): 435–483.
Dustmann, Christian, Sebastian Otten, Uta Schönberg, und Jan Stuhler (2025), “The Effects of Immigration on Places and People – Identification and Interpretation”, Journal of Labor Economics, im Erscheinen begriffen.
Hunt, Jennifer (2017), “The Impact of Immigration on the Educational Attainment of Natives”, Journal of Human Resources, 52(4): 1060–1118.
Llull, Joan (2018), “Immigration, Wages, and Education: A Labour Market Equilibrium Structural Model”, Review of Economic Studies, 85(3): 1852–1896.
National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine (2017), “The Economic and Fiscal Consequences of Immigration”. Editors: Francine D. Blau & Christopher Mackie, National Academies Press.
Nedoncelle, Clément, Léa Marchal, Amandine Aubry, und Jérôme Héricourt (2025), “Does Immigration Affect Native Wages? A Meta-analysis”, CEPII Working Paper No. 2025-07.
Peri, Giovanni und Chad Sparber (2009), “Task Specialization, Immigration and Wages”,
American Economic Journal: Applied Economics, 1(3): 135–169.